Ein kurzer Dialog zu Aussagen des Bund für Umwelt- und Naturschutz Deutschland e.V., Landesverband Berlin und strategischen Grundpfeilern der Radverkehrspolitik in Berlin - aus dem Nachhaltigkeitsprojekt Wheels, Ways & Weights:

Radwege sind auch Straßen!

Straßen geben viel Potential für Radverkehrsanlagen her. Bahntrassen sollten dagegen dem Bahnverkehrs der Zukunft vorbehalten sein.

von Michael Hüllenkrämer

BUND <> WWW

BUND: „Die polyzentrale Stadtstruktur Berlins und der große Gründerzeitgürtel, der weit über die Ringbahn hinausreicht, erfordern hingegen Radrouten `mittenmang´ und `kreuz-und-quer´. Diesem Umstand trägt das in weiten Teilen bereits umgesetzte Berliner Routennetz aus Radial- und Tangentialrouten sowie bezirklichen Nebenrouten Rechnung.“ (BUND Berlin, mittenmang)

WWW: Naja, gerade die polyzentrale Stadtstruktur Berlins mit den dem Gründerzeitgürtel und den Neubaubereichen, der Nachverdichtung und den zusammengewachsenen Dörfern, die weit über die S-Bahn-Ring bis nach Brandenburg hinausreicht, erfordern hingegen ebensolche Radrouten:

„Ringe und Achsen“ nach einem klaren und einfachen System und damit das genau Gegenteil von „Kreuz-und-Quer“, bitte!

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BUND: „Zugleich gibt es in Berlin nur wenige geeignete Strecken für RSV. “ (BUND Berlin, mittenmang)

WWW: Wenn nur an noch vorhandene Freiflächen gedacht wird, ist da wirklich nicht so viel für neue gute Fahrradstraßen und Radverbindungen verfügbar. Wenn es darum geht den Anteil des Radverkehrs zu erhöhen, kann auch die vorhandene Verkehrsinfrastruktur dafür verwendet werden. Daher gilt es den vorhandenen Straßenraum neu zu denken, in die Überlegungen einzubeziehen und anteilig besser auf die Fahrzeugarten zu verteilen.

Daher gibt es in Berlin sehr viele geeignete Strecken für Radschnellverkehr (RSV).

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BUND: „Ideal für den Ausbau zur RSV eignen sich stillgelegte Bahntrassen. Nicht zufällig befinden sich die bisher vorgeschlagenen Routen auf (bzw. unter) vorhandenen Bahntrassen (Stammbahn, Hochbahn, Siemensbahn). Die vorgeschlagene Nutzung der Stammbahn hätte durchaus sehr hohes Potenzial, zumal sie auch eine Schwereachse bedient, die bislang über kein attraktives Angebot für den Radverkehr verfügt. Dem steht der Bedarf einer baldigen Nutzung der weiterhin gewidmeten Bahntrasse für den Regionalverkehr entgegen.“ (BUND Berlin, mittenmang).

WWW: Wenn die verschiedenen Ziele des Mobilitätgesetzes nicht weitgehend gleichrangig sind, sondern konkurrieren sollen, dann könnte behauptet werden: „Radverkehr zu Lasten des Schienenverkehrs zu entwickeln“.

Doch Berlin braucht mehr schienengebundenen ÖPNV und gleichermaßen mehr und bessere Radverkehrsanlagen. Dies sollte nicht zu Lasten oder auf Kosten von Trassen erfolgen, die schon mal Schienenmobilität ermöglichten. Solche Schienenstrecken gilt es nach unserer Vorstellung wieder zu ertüchtigen und in ein Verkehrsnetz, in dem auch Radverkehr gefördert wird, zu integrieren.

Wir von „Wheels, Ways & Weights“ wollen uns da klar positionieren:

Stillgelegte Bahntrassen reaktivieren - Nicht für Radwege okkupieren. Daher sind stillgelegte Bahntrassen für den Ausbau im Radschnellverkehr zwar prinzipiell geeignet, weil mit wenig Steigung und Gefälle eine durchgängige Verbindung aufgezeichnet werden kann. Das bauliche Potential gilt es dennoch für die Aufnahme eines neuen Bahnbetriebs zu nutzen.

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BUND: „In Einzelfällen könnten RSV in Berlin auch parallel zu Bahntrassen oder Wasserläufen realisiert werden. Der BUND macht hierzu einen Vorschlag für eine Route vom Schlossplatz über Ostkreuz, Friedrichsfelde-Süd und Karlshorst nach Biesdorf/Wuhletal.“ (BUND Berlin, mittenmang).

WWW: Die Wasserläufe haben ja schon allein aufgrund der nutzbaren natürlichen Erschließungsfunktion eine jahrhundertelange Tradition als „Verkehrsweg und Verkehrsachse“ von Menschen genutzt zu werden.

Dies gilt nicht nur für die Schifffahrt und den Fernhandel, sondern auch für Radmobilität. Bäche und Flüsse sind ideale Räume für die naturschutzgemäße Flächennutzung für Fuß- und Radverkehr. Daher sollten alle fließenden oberirdischen Gewässer in Berlin mit für den Radschnellverkehr ausgestattet werden: Kein Einzelfall, sondern der neue Regelfall.
Auch der parallele Verlauf von Radwegen zu Bahntrassen ist zweckmäßig. Für die überregionalen Verkehrswege und -verbindungen haben Bahntrassen ebenso eine Verbindungsfunktion, wie die Fließgewässer. Den Bahntrassen kommt zudem eine Orientierungsfunktion zu, die nicht unterschätzt werden sollte. Auch hier gilt es die Potentiale, von „am Wasser gebaut“ und „an die Bahnlinien gelegt“ für lange und durchgängige Radverkehrsanlagen, möglichst gut auszuschöpfen.

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BUND: „Das verdichtete innere Stadtgebiet und somit der nachfrage-stärkste Bereich wird durch RSV nur im Ausnahmefall profitieren können.“ (BUND Berlin, mittenmang).

WWW: Wo viel Verkehr ist, wo Straßen stark nachfragt werden, wo der Siedlungskörper wenig Platz für breite Straßen bietet - so könnte argumentiert werden - da passen halt keine Fahrräder hin.

Für eine Verkehrswende und mehr Nachhaltigkeit in der Mobilität kann aber auch so debattiert werden:

Wo noch zu wenige sichere Radverkehr möglich ist, wo Straßen dem Autoverkehr gewidmet sind und eine starke Nachfrage nach Schutzstreifen, Radfahrstreifen, guten Radwegen und Fahrradstraßen ist, wo der Siedlungskörper wenig Platz für breite Straßen bietet, also im verdichteten innere Stadtgebiet, da soll das Mobilität-Prinzip „Menschen und kleine Fahrzeuge“ Vorrang vor dem motorisierten Individualverkehr haben.

Davon können die Menschen in der verkehrs-gerechten Stadt sehr wohl im Regelfall profitieren.

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BUND: „Deren grundlegenden Qualitätsanforderungen können insbesondere im Bereich der FGSV-Vorgaben zu mittleren Zeitverlusten durch Anhalten und Warten (30 s innerorts je Kilometer), aber auch im Hinblick auf Störungen durch Kfz, kaum erfüllt werden. In der inneren Stadt haben auch die Ansprüche anderer Nutzergruppen des Umweltverbundes, also Fußgänger und Nutzer des ÖPNV, hohe Priorität. Ist die Einhaltung der Zielwerte nicht möglich, so sollten gemäß den Empfehlungen der FGSV Netzabschnitte nicht als Radschnellverbindung vermarktet werden. (BUND Berlin, mittenmang).

WWW: Vermarktung ist etwas, das funktionieren mag, wenn es etwas zu vermarkten gibt.

Aus „so gut wie Nichts“ ein Geschäftsmodell zu entwickeln, ist eher eine Entwicklung weg von einem fahrradfreundlichen Berlin. Da die im Land Berlin aufgestellten und grundlegenden Qualitätsanforderungen an den Zustand der Berliner Straßen und Brücken, Fußwege und Radverkehrsanlagen nicht erfüllt werden, ist es irgendwie müßig über die Vorgaben für FGSV-Vorgaben und Details, wie „mittleren Zeitverlusten durch Anhalten und Warten“ zu sprechen.

Im Hinblick auf Durchgängigkeit einer Schnellverbindung das Merkmal „Störungen durch Kfz“ anzubringen, erfüllt die Position der Lobby zur Automobilität und führt in die falsche Richtung.

In einer polyzentrischen Stadt haben alle Gruppen von Teilnehmerinnen und Teilnehmern an Verkehren, insbesondere des Umweltverbundes, also Fußgänger, Radfahrer, Busfahrer, Tramfahrer, U-Bahn-Fahrer, S-Bahn-Fahrer und Bahnfahrer hohe Priorität.

Wenn die Zielwerte für „attraktive Wege für Fuß-, Rad- und ÖPNV“ erfüllt sind, lässt sich über mögliche Empfehlungen für den Ausbau von Landes- und Bundesstraßen für den schnell fließenden, motorisierten Individualverkehr weiter nachdenken. Zuvor gilt es Gerechtigkeit durch passende Anteile im Verkehrsraum herzustellen, um die Daseinsfunktion „am Verkehr teilnehmen“ in der Stadt gerechter zu machen, als dies jetzt der Fall ist.

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BUND: „Um auch große Teile des bestehenden Routennetzes in den Bereichen des höchste Bedarfs dennoch weiter zu qualifizieren, schlägt der BUND unter der Bezeichnung „Berliner Rad-Vorrangroute (BVR)“ einen neuen, auf Berliner Verhältnisse zugeschnittenen Standard vor. Ausgewählte Routen mit hohem Bedarf und hohem Potenzial können so an die Qualitäten einer RSV herangeführt und stadt-verträglich qualifiziert werden. Das Konzept und die Praxis der RSV wird hiermit nicht in Frage gestellt, sondern es wird ein dritter Baustein eingefügt zwischen dem Basisstandard für das Berliner Routennetz einerseits und der Radschnellverbindung andererseits “ (BUND Berlin, mittenmang).

WWW: Das bestehende Routennetz kann natürlich mit jenen Verbindungen „mit höchstem Bedarf“ überlagert werden. Damit würde sichtbar, wo Defizite und weiterer Bedarf für Qualifizierung der Radverkehrsanlagen bestünde.
Dafür braucht es aber nach dem Verständnis von Wheels, Ways & Weights keiner neuen Bezeichnung.

Auch braucht es für Berlin keiner neuen, auf die schlechten Verhältnisse zugeschnittene, Standards. Auch die Hauptstadt und Berlinerinnen haben ein Anrecht auf gleichartige und gute Qualitäten bei Schutzstreifen, Radfahrstreifen, guten Radweg und Fahrradstraßen, wie es die Bauvorschriften und Regeln für Radverkehrsanlagen bundesweit vorgeben.

Das Konzept und für Praxis der RSV des BUND stellt dies teils in Frage, insbesondere mit dem dritten Baustein der „Berliner Rad-Vorrangroute (BVR)“.

Was Berlin nach unserem Dafürhalten braucht, sind nicht neue Bezeichnungen für etwas, das es nicht gibt, sondern wirkliche „echte“ benutzbare Radwege im vorhandenen Verkehrsraum der Stadt:
Baulich sicher ausgeführt, sowie attraktiv in der Verbindungs- und Erschließungsfunktion.

Der Bundesstandard sollte der neue Basisstandard sein, damit sich der Anteil des Radverkehrs in Berlin deutlich erhöht.
Quellen:

BUND Berlin (o.D.): Wege für den Radverkehr III. Radschnellverbindung und Berliner Rad-Vorrangroute. Vorschläge des BUND Berlin - `mittenmang´.